WARTEN



Gemeinschaftsausstellung der Künstlergruppe Nahe
vom 1. Dezember 2013 bis 5. Januar 2014

 

Vernissage am Sonntag, 1. Dezember 2013

An Stelle einer Laudatio tragen Mitglieder der Autorengruppe „Eulenfeder“
zu fünf Kunstwerken eigens dafür erdachte Texte vor.


Der Regenbogen

Das Gefühl von Warten ist mir vertraut. Warten auf irgendwas, irgendwen.
Warten auf den Bus und warten auf den Frühling, der sich Zeit lässt. Auf einen guten Befund der ärztlichen Untersuchung, den versprochen Anruf, der ausbleibt.
Obwohl der Himmel nicht gerade freundlich aussieht, es regnet, stehe ich hier und warte einmal wieder. Warte, als ahnte ich, dass es dieses Mal nicht vergeblich ist.
Und dann geschieht es wirklich. Der Himmel bricht auf. Strahlend hell zeigt sich die Sonne. Und plötzlich ist er da. Unendlich weit fort und doch ganz nah.
Nur eine Illusion? Doch zu oft schon habe ich ihn gesehen. Er zieht mich magisch an. Kann der Himmel zaubern?
Aus dem Nichts ins Jetzt. Aus dem Jetzt ins Nichts.
Unbeschreibliche Schönheit in weitem Raum. Allumfassend!
Sein Zauber nimmt mich gefangen, nimmt mich mit auf seinem Weg.
Ahnung von einer fremden, begehbaren Welt.
Der Regenbogen.
Sein Weg ist bunt. Feuriges Rot glänzt auf der einen Seite, magisches Violett auf der anderen. Mittendrin glitzern farbige Streifen. Warmes Orange, lichthelles Gelb. Smaragdgrün. Kräftiges Blau und liebliches Indigo. Schmale Lichtbänder. Ein kleines Wunder. Sein Anblick berührt mich zutiefst.
Geheimnis, wie aus tausend und einer Nacht ist zum Leben erwacht. Kann ich dem Regenbogen folgen? Über seinen bunten Bogen laufen?
Was wird mich an seinem Ende erwarten?
Ich kann mich von diesem selten schönen Bild nicht lösen. Doch dann verblassen die Farben. Ein Hauch von Rest bleibt. Ein Geheimnis?
Oder nur eine Illusion? Vielleicht kann der Himmel wirklich zaubern.
Irgendwann wird der Regenbogen sich wieder zeigen. Ich werde warten.

Doris-Elisabeth Gries zu dem Bild von Angela Sohler ,Regenbogen‘


Was passiert?

Was passiert wenn die Zeit aufreißt,
die Pläne platzen,
Wartezeit entsteht?

Wie verändert das meine Betrachtungsweise?
Wo genau schaue ich hin?
Was kann ich noch sehen?

Ist in einem Zeitloch etwas zu finden?
Hat es eine Farbe?
Kann ich ihm eine geben?

Was mache ich mit der angerissenen Zeit?
Was macht sie mit mir?
Reißt sie alles auf?
Bleibt noch etwas stabil?
Kann ich Verbindungen herstellen, den Riss überbrücken?

Wie verläuft das Weitere?
Ändern sich Dynamik, Struktur und Beschaffenheit?

Was passiert….
wenn ich meine Gestaltungsmöglichkeiten wahrnehme?
Kann ich ein Kunstwerk daraus machen?
 
Offensichtlich ja   :-)

Simone Rentel zu dem Bild von Martin Hassemer ,Was passiert?‘


Warten (Meditation)

Gehetzt von Tausenden von Verpflichtungen setze ich mich auf den Boden.
Ich umschlinge die Beine mit meinen Armen und ziehe sie ganz fest an mich,
um mich endlich wieder zu spüren. Den Kopf lege ich auf die Knie
und atme langsam ein und aus.

Ein hämmernder Herzschlag dröhnt in der Brust, das Rauschen des Blutes in meinen Ohren gleicht einem Sturm, der um’s Haus tobt.

Ich fühle, wie ich, einem Ball gleich, in den Wellen des Zeitenmeeres treibe.

Ich drehe mich um mich selbst. Die Gedanken in meinem Kopf stolpern
und fallen übereinander, durcheinander. Nichts ist mehr klar.

Ich schließe die Augen, zwinge mich noch ruhiger zu atmen und kann endlich loslassen.

Wie emporgehoben durchstreife ich das Weltall, fliege an Sternen vorbei
und an rotglühenden Lavaplaneten.

Ich drohe zu fallen, kann mich gerade noch halten.

Explodierende Sternenhaufen leuchten in den schillernsten Farben.

Die Schwärze, die dann folgt, umhüllt mich ganz und doch ist da ein Lichtschein, der mich leitet, der mir sagt: das ist nicht das Ende.

Der Herzschlag wird leiser, der Sturm lässt nach.

Alles findet seine Ordnung.

Gestärkt öffne ich die Augen und kann wieder sehen,
was wichtig ist in meinem Leben.

Claudia Sohler zu der Skulptur von Karin Waldmann ,Meditation 2‘


Warten – ein Kunstobjekt entsteht

Welche Formen hat das Warten?
        Ist es hart und voller Kanten?
        Weich und flüchtig wie ein Kuss?
        Soll ich ein Gesicht ihm geben?
        Zeigt es Freude, auch Verdruss?

Welche Größe braucht das Warten?
        Ist es lang und breit gezogen?
        Kurz, vergänglich wie die Nacht?
        Kann die Hoffnung es beflügeln?
        Ist es Opfer oder Macht?

Welche Farbe hat das Warten?
        Ist es grün und voller Leben?
        Rot, orange oder pastell?
        Kann es leuchten wie die Sterne?
        Ist es dunkel, manchmal hell?

Braucht es Augen um zu sehen?
        Sind sie groß und voller Staunen?
        Ruhig, gelassen, eher klein?
        Soll es aufschauen in den Himmel?
        Ist es traurig, oft allein?

Kann das Warten ich beherrschen?
        Ihm Gestalt und Form verleihen?
        Holz mit Erde, Glas und Ton
        Kann ich alt und neu verbinden?
        Schaff ich Hoffnung, auch Vision?

Ich will lernen von dem Warten,
        Seinen stummen Worten lauschen
        Zuversicht und Hoffnung leben
        Licht und Schatten neu ergründen.
        Meinen Träumen Heimat geben.

Cornelia Förster zu der Figurengruppe von Hannelore Hilgert ,Warten auf Eingebung‘


Warten in Lila

Weit, sehr weit weg,
weit entfernt von ihrem eigenen, jungen Leben,
als wären es die Kämpfe der alten Römer und Griechen:
die 50er, 60er Jahre.
Dass es diese Jahre gab, das weiß sie, aber mehr sagen ihr diese Jahreszahlen nicht,
der jungen, schönen Frau mit dem sinnlichen Mund,
dem Mund, der reden, diskutieren, scherzen und lachen und küssen will,
bis ihm das Alter, der müde gewordene Geist
irgendwann die Kraft dazu rauben.

Doch das Gefühl, in ein lila verfärbtes Negativ dieser nicht erlebten 50er, 60er Jahre
getaucht zu sein, legt sich ihr auf die bebende Schulter.

Der Blick zurück beim Verlassen des Zimmers in den gefühllosen,
wankelmütigen Spiegel, der sie noch vor Monaten mit Komplimenten überschüttet,
der ihr geschmeichelt und zugeflüstert hatte: „Begehrenswert bist du, Karina.
Stolz kannst du sein auf dein Lächeln, deine Augen, dein herrliches Haar, auf alles, Karina; dein Charisma wird dir Türen und Tore öffnen.“

Ja…, Türen und Tore hatten sich ihr weit geöffnet und sich dann… hinter ihr geschlossen.
Eineinhalb Jahre schon dauert er an, ihr Kampf gegen den Feind in ihrem Blut.
Eigentlich ein schönes Wort, ein schöner Klang : Leukämie.
Die Vokale darin klingen fast wohltuend, melodisch und schmerzen doch tief,
bis in die Seele.

Das Warten, das Hoffen, es möge ein böser Traum sein,
dieses Warten zermürbt.
Das Warten auf täglich sich ändernde Werte, auf Zahlen und Zeichen,
auf gut oder schlecht;
das Warten auch auf ihn, der sie liebt und der leidet,
mit ihr, mit allen, die für sie beten,
zerrissen vom Schmerz und dem Weinen um sie.
Nur schemenhaft ist er noch der, der er gewesen ist,
der zärtlich liebkoste… und dabei seine Finger in ihrem herrlichen Haar vergrub.

Er, der sie um keinen Preis der Welt verlieren will,
er, dem man den Stein in seinem Herzen ablesen kann,
den Stein, der beschwert und zermürbt, der die Zukunft erdrückt
und alles leichte Denken, jedes unbeschwerte Lachen lähmt,
der sie beide trennt und doch… verbindet,
der sagen will:
„Seht her, ich ziehe euch zurück auf den Boden!
Auf den Boden, auf dem Tausende wie ihr leiden, kämpfen und glauben, keine Chance zu haben.
Nehmt mich an, taucht mich ein in das Lila eurer Träume und Ängste!“

Ja…, wenn sie es so ansieht…, das Lila… im Spiegel,
ihre neue, die andere Seite…, legt sich ein zaghaftes Lächeln auf ihre Lippen,
als fehle kein einziges winziges Haar.

Und das Warten in Lila… ist nicht mehr so schwer.

Anna Marita Engel zu der Installation von Maria Kauffmann ,Das Leben ist lila‘


Presse-Echo:

Warten aufs Christkind – Warten auf den Henker  (Quelle: www.hanz-online.de)
 


Die Einladungskarte:

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